Hörstadt - Akustik, Raum & Gesellschaft

Hörstadt

Hören - eine politsche Sache.  Unsere Umwelt ist ein dreidimensionaler Raum. In dem geht es nach links und rechts, nach oben und unten, nach vorne und hinten. Was sich darin befindet, können wir sehen, angreifen, riechen, schmecken. Aber da ist noch mehr: all das, was wir hören. Was wir hören, bildet einen eigenen Raum für sich. Diesen Raum, der natürlich mit unserer dreidimensionalen Umwelt verbunden ist, können wir uns als "akustischen Raum" vorstellen. Er entsteht durch alles, was für uns hörbar ist.

Hören wirkt! Hörstadt ist ein Linzer Labor für Akustik, Raum und Gesellschaft, das sich genau mit diesem akustischen Raum beschäftigt. Und zwar auf eine ganz spezielle Weise. Denn Hörstadt steht für die Überzeugung, dass dieser Raum ein politischer Raum ist. "Politisch" heißt hier: es geht um etwas, das uns alle betrifft. Jede/n einzelne/n von uns. Denn Hören wirkt. Niemand kann seine Ohren verschließen – wir können wegschauen, aber nicht weghören. Was wir hören, berührt uns tief im Innersten. Und so kommt es, dass wir von ständigem Lärm krank werden.

Gesunder akustischer Raum.  Das ist ungefähr so, als würden wir von der Luft krank werden, die wir einatmen. Oder von unserem Trinkwasser oder unseren Lebensmitteln. Hörstadt ist überzeugt, dass jeder Mensch das Recht auf eine akustische (hörbare) Umwelt hat, die ihn nicht krank macht. Daher ist es eine politische Aufgabe, unseren gemeinsamen akustischen Raum menschenwürdig und menschengerecht zu gestalten.

Zwangsbeschallung - Hören müssen

Musik ist wunderbar – aber eigentlich sollten wir selber entscheiden dürfen, wann wir welche Musik in welcher Lautstärke hören. Der Alltag ist anders: zahllose Geschäfte setzen ihre KundInnen ungefragt einer Zwangsbeschallung mit Hintergrundmusik aus. Von der Wurstabteilung bis aufs Klo. Eigentlich ist das ein Skandal. Besonders schlimm ist das für  rund 1,5 Millionen Schwerhöriger ÖsterreicherInnen. Denn Hintergrundgeräusche machen es ihnen schwer bis unmöglich, Sprache zu verstehen. Und eine echte Belastung ist die Musik für die Handelsangestellten. Sie müssen den ganzen lieben Tag lang ununterbrochen Musik hören.

Zwangsbeschallung - Hören müssen
Beschallungsfrei

Beschallungsfrei

Ö1 Radiokolleg, 22.-25.6.2009, Gestalterin: Susanna Niedermayr

Die fast allgegenwärtige Musik in der Einkaufswelt wird immer wieder mit dem Argument gerechtfertigt, dass sie gute Stimmung macht und daher mehr gekauft wird. Stimmt nicht, wie erfolgreiche Handelsriesen à la Hofer und DM beweisen, die ganz ohne Musik auskommen. Für alle öffentlich zugänglichen Räume ohne Zwangsbeschallung hat Hörstadt den Aufkleber "Beschallungsfrei – Zone ohne Hintergrundmusik" geschaffen. Er signalisiert: hier herrscht akustische Freiheit.
Hörstadt Ruhepol

Auszeiten und Ruhepole

Ö1 Radiokolleg, 22.-25.6.2009, Gestalterin: Susanna Niedermayr

Dank iPod und Smart Phones hören wir so viel Musik wie noch nie zuvor. Immer und überall. Zusammen mit den akustischen Belastungen am Arbeitsplatz, auf der Straße oder in der Schule ergibt das eine hohe Beanspruchung unseres Gehörs. Die MedizinerInnen sind sich einig: weil es immer weniger ruhige Räume und Erholungsphasen für unser Gehör gibt, werden immer mehr Menschen schwerhörig. Jede/r 5. ÖsterreicherIn über 14 Jahre ist und bleibt dauerhaft hörgeschädigt. Bald schon werden viele 30jährige ein Hörgerät brauchen. Hörstadt fordert allgemein zugängliche Ruheräume . Mit den Ruhepolen Centralkino und Mariendom in Linz hat Hörstadt auch schon gezeigt, wie das gehen könnte.

Das Schallmeer und der Lärm

Ö1 Radiokolleg, 22.-25.6.2009, Gestalterin: Susanna Niedermayr

Wir sind von Schallwellen umgeben. Von so vielen, dass wir uns darin bewegen wie Fische im Wasser. So wie sie schwimmen wir rund um die Uhr im Schallmeer. In diesem Schallmeer gibt es ein riesengroßes Problem, und das heißt Lärm. Niemand kann so genau sagen, was Lärm eigentlich genau ist. Denn jeder "unerwünschte Schall" ist per Definition schon Lärm. Der muss gar nicht laut sein. Schon leise, aber nervige akustische Belastungen führen auf Dauer zu Stress und damit zu Herz-Kreislauf-Problemen. Hörstadt glaubt: Gegen Lärm kann man nicht kämpfen. Aber man könnte unsere akustische Umwelt durch kluges Planen und Bauen so gestalten, dass das Problem kleiner wird.

Arm und Reich

Vieles auf der Welt ist sehr ungleich verteilt. Dazu gehören das Geld, die Bildung und andere Lebenschancen. Dazu gehört aber auch der Lärm. Wer sich in einer Stadt genau umsieht, erkennt schnell: Wer arm ist, lebt im Lärm. Vor allem in der Stadt ist Ruhe heute ein teuer erkauftes Gut. Wer es sich leisten kann, lebt im stillen Villenviertel. Wer sich die Mieten dort nicht leisten kann, lebt neben der Stadtautobahn oder in der Einflugschneise des Flughafens. Das trifft vor allem MigrantInnen und AlleinerzieherInnen. Sie bezahlen den chronischen Lärm mit Schlafstörungen und Krankheiten. Das ist extreme soziale Ungleichheit im Akustischen.

Mit den Ohren bauen

Die meisten ArchitektInnen unserer Zeit sind leider so gut wie taub, wenn sie für uns Gebäude planen. Denn sie beschäftigen sich kaum damit, wie die geplanten Räume einmal klingen werden, wenn sie erst gebaut sind. Die Vorliebe für schallverstärkendes Baumaterial wie Beton, Glas und Stahl führt dann zu Räumen mit so viel Hall, dass jedes Gespräch anstrengend oder gar unmöglich wird. Oft sind dann nachträglich teure und aufwändige Sanierungsmaßnahmen notwendig. Dabei würde es genügen, der Akustik schon in der Planungsphase einfach genug Aufmerksamkeit zu schenken. Ein auch akustisch gut funktionierendes Gebäude ist nicht einmal teurer als ein schlechtes!

Hoerstadt Architektur

Voraushören - Akustische Raumplanung

Planen mit akustischem Bewusstsein – das würde sich nicht nur in der Architektur lohnen. Zwei Drittel aller ArbeitnehmerInnen in Österreich klagen über schlechte akustische Bedingungen am Arbeitsplatz. Noch mehr Menschen fühlen sich durch den Verkehrslärm gestört. Raumplanung ist die Kunst, unsere Umwelt zum Beispiel in Natur- und Verkehrsflächen sowie Wohn- und Arbeitsbereiche aufzuteilen. Hörstadt arbeitet an einer Akustischen Raumplanung als neuem Fachbereich. Er verbindet die Werkzeuge der klassischen Raumplanung mit akustischem Wissen.

Hörenswürdig!

Auch wenn die Autos fast überall gleich klingen, hat doch jede Stadt, jeder Ort einen eigenen akustischen Kosmos. Zu dem gehören bestimmte typische Geräusche, an denen sich die Menschen akustisch orientieren und die ihnen ein Heimatgefühl vermitteln. Wer die Stadt mit offenen Ohren durchstreift, kann ein regelrechtes Abenteuer erleben und vieles entdecken: kathedralenartige Hallräume unter Brücken, sanft murmelnde Brunnen und vieles andere mehr. Diese Klänge sind die Hörenswürdigkeiten unseres akustischen Raums. Hörstadt hat bereits in Linz, Murau (Steiermark) und Hamburg Hörenswürdigkeiten ausgewählt und mit akustischen Stadtführern für alle zugänglich gemacht. Ohren spitzen, hören gehen!

Hörstadt Hörenswürdigkeiten

Florian Sedmak

Florian Sedmak, *1970, ist eines der Hörstadt-Teammitglieder der ersten Stunde, außerdem u.a. Musiker (Kurort, Konsortium Fernstrasse) (http://www.konsortiumfernstrasse.at) und mit Anatol Bogendorfer Gestalter des artistischen Dokumentarfilms Innere Blutungen (2013) (http://innere-blutungen.servus.at).
Florian Sedmak