Komponieren mit Soundscapes

Gabriele Proy bei der Aufnahme

Ein Themenblock von: 

Reni Hofmüller

Soundscapes sind akustische Portraits einer Gegend. Für sich genommen kann man sie verstehen wie einen dokumentarischen Film. Mit Soundscapes zu komponieren bedeutet, den Klängen eine jeweils eigene, persönliche, subjektive Struktur zu geben, sie neu zusammenzustellen und dadurch noch einmal anders erlebbar zu machen. Reni Hofmüller stellt eine Auswahl an Zugängen, zum Arbeiten mit Soundscapes, vor.

Gabriele Proy

Wien West Bahnhof - Gabriele Proy

Audiofile 1: Ö1 Radiokolleg, 24.03.2009, Gestalterin:Susanna Niedermayr |Audiofile 2: Soundscape-Komposition Wien West Bahnhof (1997), Gabriele Proy

Gabriele Proy ist Komponistin und Pionierin im Bereich der Soundscape-Komposition. Sie komponiert akustische Portraits von Orten, die so wie sie festgehalten sind, auch oft nicht mehr wieder zu finden sind. In ihrer Komposition „Wien West Bahnhof“, ein Auftragswerk von ORF Ö1, wird das alte Bahnhofsgebäude akustisch portraitiert. Ein Ort des Abschieds und der Begegnung, charakterisiert durch die massiven Klänge der ein- und abfahrenden Züge und der vielen Sprachen. Für ihre Komposition „Waldviertel“, dem Österreich-Auftrag im EU-Japan-Jahr-2005, hat Gabriele Proy über ein Jahr lang im niederösterreichischen Waldviertel Klänge recherchiert, ihr Stück ist „eine Tour de Force durch die vier Jahreszeiten, randvoll gepackt mit Schätzen aus dem großen Klangreichtum der Natur, mit viel Behutsamkeit gestaltet, ein hörbar genussvolles Schwelgen in wertgeschätzten akustischen Erinnerungen, das darauf Lust macht, selber mit einem Aufnahmegerät auf Entdeckungsreise zu gehen.“ (Susanna Niedermayr ORF Ö1 Zeit-Ton 18.6.2009).

DOCUMENTAIRE MUSICAL - PRESQUE RIEN AVEC LUC FERRARI - EXTRAIT 3 der Dokumentation (52') von Jacqueline Caux und Olivier Pascal. Cityzen TV

Luc Ferrari

Luc Ferrari (1929-2005) gilt neben Pierre Henry und Pierre Schaefer als einer der wichtigsten Vertreter der Musique Concrète. Die Musique Concrète entstand in den 40er und 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Zentral ist, dass Klänge von Natur, Technik und/oder Umwelt aufgenommen werden und anschließend durch Montage, Schnitt und Loops arrangiert werden. Es wird mit „konkreten“ Klängen gearbeitet. http://www.lucferrari.org 

Cerro Paranal

desert sound

desert sound (2013) von Peter Kutin

„desert sound“ (2013) von Peter Kutin (in Zusammenarbeit mit Florian Kindlinger und dem chilenischen Komponisten Fernando Godoy) besteht ausschließlich aus Aufnahmen aus der Atacama Wüste in Chile; das daraus entstandene Werk ist eine mehrkanalige Klangprojektion, die von einer minimalen Bildebene gestützt wird. Aus dem Material wurde unter anderem auch ein Radiostück für das Studio akustische Kunst des WDR gestaltet. „desert sound“ ist eine Dekomposition. Eine einem dokumentarischen Dogma folgende Klangforschung in der Atacama Wüste (Chile). Synchronisierte Mehrkanal-Field-Recordings, die unterschiedliche Ebenen erfahrener Wirklichkeit einfangen; die aufgenommenen Orte sind zurückgelassene Plätze: Geisterstädte, Friedhöfe, Minen, Ruinen. Orte, die von Menschen schon vor einiger Zeit verlassen wurden, Orte ohne irgendeinen noch verbleibenden aktiven menschlichen Einfluss, in einer Gegend extremer Lebensbedingungen. „desert sound“ ist der Versuch, akustische Spuren früherer Aktivität von Menschen aufzuzeichnen, eine Klangforschung in unserer Vergangenheit. Das hier aufrufbare Tonbeispiel macht den Innenraum des in der Atacama befindlichen größten Teleskops der Welt bei seiner Öffnung hörbar. Astronomen beobachten von dort aus längst Vergangenes. Empfehlung von Peter Kutin: Audiofile LAUT anhören.

Was ist noTours? (2013), (c) Escoitar

NoTours

NoTours von Escoitar, ein Kollektiv aus Nordspanien, schlägt eine Augmented-Aurality-Erfahrung vor. Anders gesagt: mittels noTours kann jede/r  ihrerer/seiner Umgebung weitere Wirklichkeiten akustischer Art hinzufügen.  Mit der NoTours App für Android können Klänge via GPS einem bestimmten Ort zugeordnet werden. http://www.notours.org/

Nodar Flowlines Foto

Nodar Flowlines

Nodar Flowlines (2008), John Grzinich

In „Nodar Flowlines“ (2008) untersucht John Grzinich eine Landschaft in Portugal; dabei konzentriert er sich vor allem auf die Auswirkungen von Wasserläufen auf diese Landschaft; in seiner daraus entstandenen Installation baute er diese Linien nach.
AKT 1 aus der Stadtoper, ESC

Stadtoper

AKT 1 aus der Stadtoper (2005) von Peter Ablinger

AKT 1 aus der „Stadtoper“ (2005) von Peter Ablinger verwendet als klangliches Ausgangsmaterial Aufnahmen aus der Stadt Graz, für „eine akustische Topographie der Stadt Graz in ca. 400 Einzelaufnahmen (…) Es ist die Stadt selbst, die singt - ein enzyklopädischer Stadt-Klang-Katalog.“ Im steirischen herbst 2005 waren diese Aufnahmen in einem Raum an 36 Tischen auf 36 CD-Playern zu hören und jede Besucherin/jeder Besucher komponierte ihren/seinen eigenen AKT 1.
Music from the Zone of Silence Catus

Music from the Zone of Silence

Hildegard Westerkamp, Music from the Zone of Silence (1988)

Hildegard Westerkamp ist Komponistin und Teil des World Soundscape Project, schreibt Kompositionen, macht Installationen und veranstaltet eine ganze Reihe von Workshops zum Thema Soundscape. Zu ihrem Soundscape Workshop „Das Komponierende Ohr“ erklärt Sie: „Das Ohr hört immer zu und begleitet uns durch den Alltag. Diesem klanglichen Zeitablauf tägliche Aufmerksamkeit zu schenken, ändert die Qualität unseres Zuhörens und unseres Zeiterlebens. Es kann bedeuten, der Alltagshast entgegenzutreten und ihr still zuzuhören, oder Klänge in der Stille verfließen zu lassen, sie in uns zur Ruhe zu bringen und widerhallen zu lassen. Die Qualität unseres Zuhörens kann die Qualität eines klanglichen Zeitablaufes (eines Gespräches, eines Musikstücks, ja sogar die Qualität einer Klangumwelt) beeinflussen und ändern. Dieser Workshop versucht durch verschiedenartige Hörerlebnisse und -aktivitäten konkrete Erfahrung mit dem „komponierenden“ Ohr zu vermitteln.“
Francisco López

Francisco López

Ö1 Radiokolleg, 22.-25.6.2009, Gestalterin: Susanna Niedermayr

Der aus Madrid stammende Musiker und Biologie-Professor Francisco López betreibt seit Anfang der ’80er Jahre Soundstudien, die sich mit Klang in seiner reinsten Form beschäftigen: Wegen seiner unorthodoxen Herangehensweise gilt er als einer der Protagonisten aktueller avancierter elektronischer Musik. Konsequent unterminiert er sämtliche visuelle Erwartungen: Sein Werkkatalog verzeichnet mehr als 160 Aufnahmen mit dem Titel „Untitled“, die meisten CDs haben keine Track-Indices und egal ob Club oder Konzertsaal, er spielt im möglichst abgedunkelten Räumen. Oft werden sogar die Instrumente verhüllt. Das ist indes keine Schikane, sondern der bewusste Versuch, die Aufführungspraxis elektronischer Musik (wieder) in Richtung Sound-Art und Musique Concrète zu verorten und die visuelle Interpretation des Gehörten, dem Zuhörer selbst zu überlassen. Denn für López fällt die frontale Bühnenpräsenz in die als totalitär empfundene Guckkasten-Situation zurück, wie man sie aus dem Opern- und Rock’n’Roll-Kontext kennt.

Wind Array Cascade Machine WACM (2003) von Steve Heimbecker http://www3.sympatico.ca/qubeassm/WACM.html

The Wind Array Cascade Machine

The Wind Array Cascade Machine WACM (2003) von Steve Heimbecker funktioniert folgendermaßen: Er hatte die Muster riesiger Weizenfeldern durch den hindurchstreifenden Wind in Kanada beobachtet und wollte diese Bewegungen rekonstruieren; gemeinsam mit anderen baute er eine Art Simulationsanlage für die einzelnen Ähren mit 64 Sensoren und zeichnete diese Bewegungsmuster auf. In seinem Studio hat er 64 Lautsprecher installiert, die mithilfe von Software genauso angesteuert werden können und nun den eingespielten Klang in der gleichen Weise über die Lautsprecher bewegen wie der Wind die Weizenähren.

Speaking Mountains

Speaking Mountains

Speaking Mountains (2000), Tulle Ruth: Audiofile 1: Lydherhorn, Audiofile 2: Floyen

„Speaking Mountains“ (2000) von Tulle Ruth übersetzt die dreidimensionale Darstellung von 7 Bergen in Sprache, die dann beim Begehen eben dieser Berge als Klanginstallation zu hören und zu erleben ist, das Publikum muss sich tatsächlich in diese Landschaft begeben. „Im Jahr 2000 betraten die 7 berühmten Berge rund um Bergen in Norwegen die Welt der Sprache. Wer während der Sommermonate auf einen der Berggipfel wanderte, kam bei Klanginstallationen vorbei, in denen jeder einzelne der Berge seine eigene kleine Rede hielt. Eine Übersetzung der Oberfläche, des Reliefs eines jeden Berges in Klang, diese Gestalt – die aussieht wie ein dreidimensionales Soundfile, eine Audiodatei – war zu hören.“

Reni Hofmüller

*1966, Künstlerin, Musikerin, Komponistin, Organisatorin, Kuratorin. Projekte in den Bereichen: Konzert, Performance, Video, Foto, Installationen, Internet, Computer allgemein; Organisationstätigkeit im Kunstbereich (Eva & Co., Die ESC), Freies Radio (Radio Helsinki), Zugangsmöglichkeiten für Kunstschaffende zum Internet ( mur.at), Initiierung der mailing-liste 42, 2001 - 2005 Teil von LTNC, Mitglied des Institut für Medienarchäologie. Beschäftigung mit Linguistik, Spanisch, Musikwissenschaft, Geschichte, Biologie; Medienaktivismus, Selbstorganisation, DIY, Gesangsausbildung, Seminare zu Improvisierter Musik, Workshops zu Computer, digitale Klangbearbeitung, Internet, Linux.
Reni Hofmüller