John Cage

John Cage

Ein Themenblock von: 

Elke Tschaikner und Christian Scheib

John Cage, geboren am 5. September 1912 in Los Angeles, gestorben am 12. August 1992, war ein Unikum: ein Komponist, der in Literatur und Bildender Kunst nicht weniger Spuren hinterlässt, als in der sogenannten Ernsten Musik, mit Pop-Appeal wie sonst nur Komponistenkollege Karl-Heinz Stockhausen.

John Cage, Organisator des ersten Happenings, Mentor der Fluxus-Bewegung, Wegbereiter mehrerer Musikrichtungen des 20. Jahrhunderts, erweiterte explosionsartig das Verständnis von Musik, überhaupt von Kunst: Im Mittelpunkt steht der Prozess, das Ergebnis ist offen - wie in seinem berühmtesten Stück 4'33", den vier Minuten 33 Sekunden vermeintlicher Stille (in drei Sätzen). "Everything is music and everywhere is the best seat". Alles kann Kunst werden, sie schließt den Alltag  und den Zufall als legitimen Bestandteil ein. Kein Zufall ist vielleicht John Cages Herkunft vom Pazifik, von der amerikanischen Westküste. Seine Beschäftigung mit Zen-Buddhismus, indischer Philosophie, indonesischer Gamelan-Musik - das waren Ausgangspunkte, die Paradigmen abendländischen Denkens radikal zu erweitern, im Gegensatz etwa zur vergleichsweise braven, mathematisch-ingenieursmäßigen Weiterentwicklung der Zwölftontechnik in der Nachfolge eines Arnold Schönberg (bei dem Cage in Kalifornien vorübergehend studierte).

John Cage Schriftzug

Open your ears and eyes

Ö1 Diagonal - Radio für Zeitgenoss/innen, 1.9.2012, Präsenation: Johann Kneihs

John Cage Kurzvorstellung - Komponist, Philosoph, Bildender Künstler, Pilzsammler und vieles mehr.
John Cage Partitur

4' 33"

Ö1 Diagonal - Radio für Zeitgenoss/innen, 1.9.2012, Präsenation: Johann Kneihs

Im Mittelpunkt steht der Prozess, das Ergebnis ist offen - wie in seinem berühmtesten Stück 4'33", den vier Minuten 33 Sekunden vermeintlicher Stille (in drei Sätzen).
John Cage

John Cage - musikalische Biografie

Ö1 Diagonal - Radio für Zeitgenoss/innen, 1.9.2012, Präsenation: Johann Kneihs

Rainer Elstner präsentiert die musikalische Biografie von John Cage.

Eine Produktion von ACCENTUS Music. In Koproduktion mit dem WDR. Gefördert durch die Mitteldeutsche Medienförderung. Regie: Allan Miller und Paul Smaczny, TV-Vertrieb: C Major Entertainment, DVD-Vertrieb: ACCENTUS Music. Genre: Dokumentarfilm. Protagonisten: Yoko Ono, Christian Wolff, Wolfgang Rihm, Irvine Arditti, Steffen Schleiermacher, Toshio Hosokawa, Mayumi Miyata, Calvin Tomkins, Salome Kammer u.a. Produktionsjahr: 2012. Länge: 60 min.

John Cage - The Sound Traveler

Anlässlich seines 100. Geburtstages im Herbst 2012 widmete der Regisseur Allan Miller diesem außergewöhnlichen Polyartisten ein Portrait. Neben selten gezeigtem Archivmaterial und Konzertmitschnitten, präsentiert diese Dokumentation auch sogenannte Short Stories, deren Protagonisten – Musiker, Komponisten, Wegbegleiter, Freunde – spielerisch unterschiedliche Facetten der Person Cage aufzeigen.

Indeterminacy -- Unbestimmtheit (von John Cage), Stimme: Elke Tschaikner und Christian Scheib, Musik: Dieter Kovacic/dieb13. Aufgenommen in Krems: 15.GLOBArt Academy. 27.-30.9.2012.

Indeterminacy - Unbestimmtheit

„In der Musik sollte es uns genügen, unsere Ohren zu öffnen. Musikalisch gesehen, kann alles in ein Ohr eindringen, das für alle Töne offen ist. Nicht nur für Musik, die wir schön finden, sondern auch durch Musik, die das Leben selbst ist.“ (John Cage)Auch gelesene Geschichten können zur Musik erklärt werden. John Cage tut das 1959 mit seinem Stück Indeterminacy – Unbestimmtheit. Das Erstaunliche an diesem Stück aus jenen Jahren, in denen Cage das Arbeiten mit dem Zufall zu kultivieren begann und seine Positionen immer mehr radikalisierte, ist, dass es tatsächlich einfach aus neunzig einminütigen Geschichten besteht. Mit Anfang und Ende und meist mit einer Pointe. Eine dieser Kurzgeschichten zeigt das Empfinden und den Umgang des radikalen Denkers  mit Umweltgeräuschen. Sie stören nicht die Musik, sie sind selbst auch Musik.

Konrad Rennert über John Cage

Ich hatte das Vergnügen, Cage ein paarmal zu treffen und konnte mich da und dort auch etwas ausführlicher mit ihm unterhalten. Er war ein Mensch von großer Bescheidenheit, unprätentiös in Erscheinung und Auftreten und undogmatisch in seinen Äußerungen, von Respekt vor Anderen, auch künstlerisch Andersdenkenden geprägt. Das letzte Mal traf ich ihn in Berlin, wenige Monate nach dem Mauerfall. Er war eingeladen worden, der ersten (und vielleicht auch letzten) öffentlichen Aufführung seines Music Circus oder Musicircus in der DDR beizuwohnen. Wissend, daß dies alles andere als ein publicityträchtiges Großereignis werden würde, war er gerne angereist. Verteilt auf dem Käthe Kollwitz-Platz, einer etwas verwahrlosten kleineren Parkanlage im damals noch kaum „ehemaligen“ Ostteil der Stadt, saßen und standen hunderte Menschen in kleineren und größeren Gruppen mit kleineren und größeren Instrumenten und Gebrauchsgegenständen und spielten inbrünstig Musik: manche wild und extravertiert, manche still und vollkommen in sich gekehrt. Wer kein Instrument hatte – und das waren viele, spielte mit Schlegeln oder anderen Hölzern auf den Schaukeln oder dem metallenen Klettergerüst auf dem Kinderspielplatz, tanzte, aß oder unterhielt sich oder performte anderweitig. Eine Gruppe von vier oder fünf Leuten stand in einem Gebüsch und bewegte die Äste und Zweige, um die Blätter rauschen zu machen, und ein einzelner junger Mann saß auf einer Bank mit einem auseinandergeschraubten, batteriebetriebenen Kassetten-Gerät, hielt die Enden eines vielleicht fünfzehn Zentimeter langen Tonbandes zwischen beiden Händen und erzeugte leise Geräusche, indem er dieses, am frei liegenden Tonkopf entlangreibend, immer hin und her zog. Wie vorgesehen, fanden viele Musiken gleichzeitig statt und vereinten sich zu einer einzigen.  John Cage schlenderte lange Zeit, meist für sich, lächelnd die Wege des Parks entlang, blieb überall stehen, wo Menschen Musik machten und ergötzte sich sichtlich sowohl an den sophistizierteren, als auch an den einfachsten musikalischen Aktivitäten und an der Freude der Menschen, sich die Freiheit nehmen zu können, sich auch an der Aufführung dieses Stückes zu beteiligen. Ich glaube, die Wenigsten waren sich bewusst, wer dieser unscheinbare alte Mann war, der hier so unermüdlich durch den Park wanderte und ihren Aktivitäten so aufmerksam lauschte; dass das der Komponist des Stückes war, das sie gerade aufführten, der berühmte John Cage, der sein Leben lang bestrebt gewesen war, den Klängen seiner Welt eine Ordnung angedeihen zu lassen, ohne sie gleichzeitig dem Ego des jeweils ordnenden Individuums zu unterwerfen. Ich empfinde diesen Augenblick, diesen langen Spätnachmittag und Abend auf dem Käthe Kollwitz-Platz im Rückblick als eine der adäquatesten Ausformungen einer Utopie in Hinblick auf eine neu gewonnene Freiheit – innerhalb eines gewissen vorgegebenen Rahmens tun zu können, was einem beliebt und damit zum Gelingen eines Ganzen beitragen zu können. Und bei diesem Stück ist die Vorgabe annähernd gleich Null. Wenn ich mich an Leonard Bernsteins damalige – gewiss erhebende – Aufführung von Beethovens neunter Symphonie unweit der historischen Stätte der Maueröffnung erinnere, dieses Werkes, dessen vierter Satz (trotz all seiner positiven, friedlichen, brüderlichen Assoziationen) mit seinem anmaßenden Baritonsolo und seinem etwas zwänglichen Chorsatz den Inbegriff der Unterordnung, ja Unterwerfung des Individuums (und der Masse) zum Zwecke des Erreichens einer quasitriumphalen Zielvorgabe darstellt, empfinde ich umsomehr die Realisation von Cages Musicircus zu dieser an Hoffnungen und Utopien reichen Zeit, an diesem Ort inmitten des eben geöffneten Ostberlins, als einen viel konkreteren Spiegel der Utopie konstruktiver Selbstbestimmtheit: Wenn schon – wie wir heute in wehmütigem Rückblick auf wieder einmal zwanzig Jahre enttäuschter Hoffnungen wissen – wenn schon nicht ein Triumph der Freiheit, so doch wenigstens ein Triumph der Utopie von Freiheit. Mehr Trost können wir in dieser Welt wohl kaum verlangen.

John Cage Peters Verlag

TEXT: Konrad Rennert, geboren 1958 in New York, Studium an der Musikuniversität Wien, Mozarteum Salzburg; Interpret, Autor, Komponist, Performer. Quelle: Cage, Musicircus in Ostberlin, Erinnerung von K.R., korr. 16. Mai 2013.

director MIROSLAV SEBESTIK - authors MIROSLAV SEBESTIK, ANNE GRANGE - producer JACQUES BIDOU - productions JBA PRODUCTION, SACEM, LA SEPT, MIKROS IMAGE, CENTRE GEORGES POMPIDOU - image NED BURGESS, GILBERTO AZEVEDO, JACQUES BESSE - year of production 1992. jba production

John Cage. Écoute film

John Cage. Écoute film
Écoute is a documentary by Miroslav Sebestik.

Elke Tschaikner

*1974 in Feldkirch/Vorarlberg, Studium an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, ab 1995 Redakteurin bei Ö1 und als Gestalterin und Moderatorin für verschiedenste Sendungen im Musik- und Kulturbereich tätig, seit 2010 gemeinsame wöchentliche Sendereihe "Ö1 bis Zwei le week-end" gemeinsam mit Christian Scheib, Leiterin der Ö1 Musikredaktion ab 2011.
Elke Tschaikner

Christian Scheib

*1961, Studien der Musik und Musikwissenschaft in Wien und Berlin, 1995 bis 2012 Programmdirektor des Festivals musikprotokoll im steirischen herbst, Leitung Ö1 Musikredaktion bis 2011, seit 2009 künstlerische Leitung und Management des ORF Radio-Symphonieorchester Wien. 1998 Gastdozent am Critical Studies Department des California Institute of the Arts, diverse Lehraufträge zur Musikästhetik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Ko-Herausgeber u.a. der Bücher das rauschen (1995), Übertragung – Transfer – Metapher. Kulturtechniken, ihre Visionen und Obsessionen (2004); als Ko-Autor der Bände European Meridians / In The East – New Music Territories (2002/2003). Seit 2010 wöchentliche Radiosendung Ö1 bis Zwei le week-end mit Elke Tschaikner.
Christian Scheib