Klangökologie – ein globales Anliegen

International Noise Awareness Day 1999

Ein Themenblock von: 

Caroline Profanter

Durch das von Murray Schafer ins Leben gerufene World Soundscape Project konnten in den 1970er Jahren weltweit klangökologische Forschungen realisiert werden. Mit wachsender Zahl von aktiven Interessierten, die das klangliche Umfeld zu ihrem Untersuchungsgegenstand erklärten, stieg auch der Wunsch nach globaler Vernetzung und interdisziplinärem Austausch.

Aus diesem Impuls entstand 1993 das WFAE - World Forum for Acoustic Ecology (Weltforum für akustische Ökologie). Das WFAE ist heute Dachverband von weltweit 9 Organisationen aus Kanada, USA, Mexiko, Europa und Japan. Regelmäßig laden die einzelnen Organisationen zu mehrtägigen Konferenzen mit Vorträgen, Workshops, Konzerten, Klanginstallationen und Hörspaziergängen.

Soundscape Journal

Seit 2002 erscheint die Zeitschrift  Soundscape Journal for Acoustic Ecology, die Artikel zu aktuell diskutierten Themen und Entwicklungen im Bereich der Klanglandschaftsforschung sammelt. Auf dem Cover dieser  Ausgabe sieht man StudentInnen während eines demonstrativen Hörspazierganges durch die Stadt bei dem „International Noise Awareness Day“ (Tag gegen Lärm) von 1999. Der Tag gegen Lärm fand dieses Jahr am 24. April statt. Geräuschumwelt von Kindern und Belastungen durch Umgebungslärm waren die Themenschwerpunkte.

Soundscape Journals - Volume I Cover

Cover der ersten Ausgabe des Soundscape Journals - Volume I Number I Spring 2000 / /Foto: Jürgen Heller.

Forum Klanglandschaft

Ohren auf! Forum Klanglandschaft

Ö1 Radiokolleg, 22.-25.6.2009, Gestalterin: Susanna Niedermayr

Als eine dem Dachverband WFAE angehörige Organisation vertritt das Forum Klanglandschaft (FKL) die Länder Österreich, Schweiz, Italien und Deutschland. Die Komponistin Gabriele Proy ist seit 2001 Präsidentin des FKL. Sie hat mehrere Symposien geleitet und kuratiert im Rahmen dieser, die von ihr entwickelte Konzertreihe soundscapes – landscapes. Dabei spielt das Zuhören aber auch das In-sich-Hineinhören eine große Rolle, so Gabriele Proy. „Das Forum Klanglandschaft versteht sich vor allem als Vermittler zwischen Menschen aus den verschiedensten Disziplinen, die sich mit Klangumwelten und Hörräumen befassen. Es bezweckt Aktivitäten in Wissenschaft, Kunst und Bildung, die der Sensibilisierung für die Klangumwelt dienen und deren Qualität sowie das aktive und offene Hören fördern.“ Gabriele Proy in Begegnungen Musik – Regionen – Kulturen, herausgegeben vom Verband Deutscher Schulmusiker, erschienen im Verlag Schott 2008.

Umgang mit Stille neu lernen

Anke Haun, Musikpädagogin, Vorstandsmitglied des FKL und des Verbands für Deutsche Schulmusiker arbeitet seit Jahren für eine Umgestaltung des Schulmusikalischen Alltags und einer Einführung klangökologischer Themenschwerpunkte in Nordrheinwestfalen.Erfolgreich werden Projekte zur Sensibilisierung des Hörens in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen umgesetzt. Folgende Passage konnte im regionalen Lehrplan der Sekundarstufe für das Gymnasium eingeführt werden:„In diesem oft ungewollten oder unbemerkten Umgebensein von Klängen, aber auch im extensiven Gebrauch von Musik durch die Schüler/innen als Folge ihrer Lebenssituation spiegeln sich tiefgreifende Veränderungen im Umgang mit Musik […] Bei der handlungs- und erlebnisorientierten Beschäftigung mit Musik sollen Schüler/innen etwas über sich selbst erfahren und Orientierungen gewinnen. Dabei lässt sich auch der Umgang mit der Stille neu lernen.“ (Frechen 1993, S. 31)Die Notwendigkeit einer Überarbeitung der schulischen Inhalte macht Gabriele Proy in einer Enquête des Österreichischen Parlaments zum Thema ZukunftsMusik - Aktuelle Herausforderungen und musikalische Entwicklungsperspektiven in Österreich deutlich:„Im Musikunterricht geht es um das Hören, das Zuhören, das Anhören.Insbesondere würde sich ein fächerübergreifender Musikunterricht anbieten, um die Sensibilisierung des Hörens, um die Sensibilisierung für die Klangumwelt zu fördern.Anhand von Soundwalks - Hörspaziergängen in und um das Schulgebäude, in der jeweiligen Stadt, der jeweiligen Dorfgemeinde, ließe sich wunderbar ein Bewusstsein für akustische Zusammenhänge, für ein akustik-ökologisches Bewusstsein vermitteln[...].“

Hildegard Westerkamp, Gabriele Proy, Tadahiko Imada und Murray Schafer bei der WFAE Konferenz "The West Meets the East in Acoustic Ecology" in Japan 2006.

V.l.n.r.: Hildegard Westerkamp, Gabriele Proy, Tadahiko Imada und Murray Schafer bei der WFAE Konferenz "The West Meets the East in Acoustic Ecology" in Japan 2006.

Soundwalks zur Sensibilisierung des Hörens

Mit Soundwalks (Hörspaziergängen) versuchen KlangökologInnen und PädagogInnen das Gehör für die akustische Umwelt zu sensibilisieren, Umgebungsklänge zu analysieren und zu verstehen. Was und wie wir hören ist Teil unseres soziokulturellen Hintergrundes. „Die Klanglandschaft ist eine Kulturlandschaft, eine Landschaft des Menschen, die auf der Grundlage von gegenwärtiger Wahrnehmung von Stimmungen, Erinnerungen und Imaginationen gebildet wird. Damit stoßen wir an die Grenzen, die der Dokumentation der Klanglandschaft gesetzt sind. Es geht nicht, oder nicht ausschließlich, um eine Tonjägerei mit technischen Hilfsmitteln, sondern um Aussagen und Wertungen von Menschen“, so der Musikwissenschaftler Justin Winkler, Gründungsmitglied des FKL in Klanglandschaft wörtlich - Akustische Umwelt in transdisziplinärer Perspektive, herausgegeben vom Forum Klanglandschaft.

Klanglandschaft wörtlich - Akustische Umwelt in transdisziplinärer Perspektive Cover

Kits Beach Soundwalk (1989) – Hildegard Westerkamp

Kits Beach Soundwalk (1989) – Hildegard Westerkamp

Hildegard Westerkamp, Gründungsmitglied des WFAE, hat 1974 den „teilnehmenden Hörspaziergang“ ins Leben gerufen. Diese Aktivität beinhaltet einen gestalterischen Wunsch des Hörers/der Hörerin in der wahrgenommenen klanglichen Umwelt. In ihrer Arbeit Kits Beach Soundwalk führt uns Westerkamp akustisch nach Kits Beach in Vancouver und weiht uns in Methoden des Hörens und den Möglichkeiten der elektronischen Nachbearbeitung der Klänge ein. So erweitert sie die Rezeption der originalgetreuen akustischen Klänge und nimmt uns auf eine Traumreise mit.

Caroline Profanter, Una Steiner, Igor Lintz-Maues, Lale Rodgarkia-Dara, (nicht zu sehen: Anna Steiden, Tamara Wilhelm) als Sound Workers in der Altstadt von Verona

Urbanophone

Audiomitschnitt Café Culture, Vienna Noise Orchestra, Kaffee Hegelhof, 30.5.2012

Unter dem Titel "Sound Workers" tritt das seit 1999 bestehende Vienna Noise Orchestra im öffentlichen Raum mit klanglichen Interventionen auf. In diesem Projekt werden lebendige Klangskulpturen und Klangchoreographien für den urbanen Raum konzipiert. Bildbeschreibung: V.l.n.r.: Caroline Profanter, Una Steiner, Igor Lintz-Maues, Lale Rodgarkia-Dara, (nicht zu sehen: Anna Steiden, Tamara Wilhelm) als Sound Workers in der Altstadt von Verona bei dem Festival "Verona Risuona" 2011. Zu sehen ist die Performance einer Brunnenskulptur, bei der aufgezeichnete Wasserklänge aus den Urbanophonen sprudeln. Im Rahmen des Symposiums "Urban Soundscapes – Composing with, Intervenier in" 2012 intervenierte das Vienna Noise Orchestra in der Wiener Innenstadt. Im Kaffee Hegelhof wurde die Performance „Café Culture“ aufgeführt. Hier mischen sich Kaffehausklänge mit aufgezeichneten Klängen. Es entsteht eine verwirrende Geräuschkulisse, die das alltägliche Klangbild stört.

Muzak – Stimulus Progression – Longplay 1970

Muzak Corporation

Kommerziell ausgerichtete Unternehmen wie die berüchtigte Muzak Corporation (heute Mood Media Corporations) haben das Feld längst für sich entdeckt: Musik und Beschallung und deren Auswirkung kann funktionelle Zwecke erfüllen. So wurde schon Anfang der 1930er Jahre durch Beschallung an Arbeitsplätzen die Produktivität der Arbeiter zu erhöhen versucht.

Futurismo Soviético Cover

Schonendes Akustikdesign vs. Muzak

Sonata of Sleep (2007), Miguel Molina

Der russische Architekt Konstantin Melnikov entwarf im Jahre 1929 für Moskau ein grünes Stadtviertel der Erholung, „The Green City“, das mit seinem geplanten Soundpavillon als visionäres Projekt der Klangökologie und des Akustikdesigns gilt. Dort sollte es ein Dormitorium geben in dem durch spezielle Vorrichtungen (Hörner) natürliche Umgebungsklänge und Zuspielungen von Klaviermusik hörbar wurden. Durch diese arrangierten Klanglandschaften sollte den Menschen ein erholsamer Schlaf gewährt werden. Diese Konzerte nannte Melnikov „Sonata of Sleep“. Hier eine auf Beschreibungen von Melnikov basierende Radiophonische Reproduktion der Sonata of Sleep in der visionären Green City. [Sonata of Sleep (2007), Miguel Molina]

Soundwalkers – ein Film von Raquel Castro über diverse Positionen der Wahrnehmung im Umgang mit der klingenden Umgebung. Es kommen u.a. zu Wort: Allen S. Weiss, Künstler und Autor, Professor an der TISCH School of the Arts New York, Sabine Breitsameter, Radiokünstlerin und Autorin, Professorin für Sound- und Medienkultur an der Universität Darmstadt, Peter Cusack, Künstler und Musiker, Mitbegründer des London College of Communication an der University of the Arts London.

Umgang mit der klingenden Umgebung

WFAE, FKL und alle anderen Organisationen und Institutionen dieser Welt, die sich um eine klanglich ausgewogene Umwelt sorgen, agieren gegen Dauerbeschallung und unnötigen Lärm. Das internationale Netzwerk sollte stetig ausgebaut werden: die Gestaltung der urbanen Klanglandschaften ist durch aktive Beteiligung der in ihr wohnenden Menschen abhängig. In einem Prozess der Bewusstseinsmachung soll sich in der Bevölkerung und in der Stadtplanung ein schonender Umgang mit Klang, Musik, Geräusch und Lärm durchsetzen.

Caroline Profanter

Caroline Profanter arbeitet als Komponistin und Performerin im Bereich elektroakustischer und elektronischer Musik mit Tape, Soundscapes, Live-Elektronik und No-Input-Mixing. 1985 in Bozen geboren, absolvierte sie von 2007-2010 den Lehrgang für Computermusik und Elektronische Medien an der Universiät für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Aktiv bei VELAK (Verein für Elektroakustische Musik) und Elektronik Teatime, gestaltet Profanter improvisierte Live Performances in unterschiedlichen Konstellationen und betreibt öffentliche klangliche Interventionen mit dem Vienna Noise Orchestra.
Caroline Profanter